imgonlineIn der letzten Ausgabe der APD-News (№ 7, Woche 14, April 2020) hat der Fachdialog Boden des APD bereits eine Zusammenfassung des Gesetzes Nr. 2178-10 zur Reform des Bodenmarktes der Ukraine vorgestellt.

Heute folgt eine erste Bewertung des Gesetzes:
Mögliche Chancen für positive Entwicklungen:

1. Ukrainischen Eigentümern landwirtschaftlicher Flächen wird ab dem 1. Juli 2021 möglich sein, ihr Grundeigentum zu verkaufen. Diese symbolkräftige Stärkung des Eigentumsrechts von über 7 Mio. betroffenen Ukrainern kann dafür genutzt werden, weitere dringend benötigte legislative Entscheidungsprozesse und Gesetzesvorhaben zur Entwicklung des landwirtschaftlichen Bodenmarktes weniger politisiert voranzubringen. Der nun durchgesetzte Minimalkonsens bietet die Möglichkeit für Nachbesserungen von einzelnen, bislang politisch strittigen Regulierungen, z.B. in Bezug auf Erwerbsober-grenzen, Staatslandprivatisierung und die Einbeziehung von Ausländern in den landwirtschaftlichen Bodenmarkt.

2. Mit der Verabschiedung des Gesetzes werden Voraussetzungen geschaffen, Eigentum an landwirtschaftlichen Flächen als Sicherheit für die Finanzierung von Investitionen zu nutzen. Dies kann Landwirten / landwirtschaftlichen Unternehmen den Zugang zu Bankkrediten oder Darlehen erleichtern. Fraglich ist, ob dem Bankensektor die bis 2024 bestehenden Sicherheiten für die Eintragung entsprechender Grundschulden ausreichen oder ob die Beleihung von Flächen erst dann funktioniert, wenn sich nicht nur natürliche Personen (mit sehr niedrigen Erwerbsobergrenzen), sondern auch Unternehmen auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt betätigen dürfen.

3. Ukrainische Landwirte erhalten zweieinhalb Jahre lang die Möglichkeit, zu wahrscheinlich vergleichsweise niedrigen Preisen, ihre Eigentumsausstattung an landwirtschaftlichen Flächen zu erhöhen bevor sie mit (finanzstärkeren) Unternehmen auf dem Bodenmarkt konkurrieren müssen. Die Gestaltung der Entwicklung des Bodenmarktes als Stufenprozess kann zur Stärkung kleinerer landwirtschaftlicher Unternehmensstrukturen und Steigerung der durchschnittlichen landwirtschaftlichen Produktivität beitragen. Strukturelle Beiträge zur Produktivitätssteigerung sind bei den individuellen Kleinstproduzenten zu erwarten, da diese ab 2021 ihre Betriebsfläche im Rahmen des Gesetzes durch Kauf vergrößern können und insbesondere die bereits im Eigentum befindlichen Flächen für die Finanzierung von notwendigen Investitionen zur Produktionssteigerung beleihen können. Gleichzeitig erreichen Verkäufer von landwirtschaftlichen Flächen eine höhere Kaufkraft und tragen dadurch generell durch Konsumtion zur Konjunktur der ukrainischen Wirtschaft bei. Da kleine Unternehmen zumeist regional, entsprechend ihrem Betriebssitz tätig sind, könnte die Bodenmarktöffnung zu einer Erhöhung der steuerlichen Einnahmen jener Gemeinden führen, in denen sich die gehandelten landwirtschaftlichen Flächen befinden, und sich insgesamt positiv auf die Entwicklung ländlicher Räume auswirken.

4. Das Verkaufsverbot staatlicher / kommunaler landwirtschaftlicher Flächen ist unter Berücksichtigung der momentanen wirtschaftlichen Krise und des leider noch immer andauernden militärischen Konfliktes in der Ost-Ukraine nachvollziehbar. Dadurch wird das Risiko umgangen, dass Eigentum der „öffentlichen Hand“ zu bisher noch nicht routiniert ablaufenden Verwertungsverfahren auf dem sich erst entwickelnden Bodenmarkt großflächig und weit unterhalb ihres Wertpotentials verkauft wird. Daher besteht für jede Vereinigte Territoriale Gemeinde weiterhin die Möglichkeit, individuelle Konzepte für den Bewirtschaftungs- bzw. Privatisierungsprozess zu entwerfen, und diese anhand noch zu definierender agrar- und strukturpolitischer Zielsetzungen auszurichten. Dieses Vorgehen könnte - in Abhängigkeit der unterschiedlichen Voraussetzungen in ukrainischen Regionen - Überlegungen zum Privatisierungszeitraum (kurzfristige Einnahmen bei Verkauf vs. langfristige Pachteinnahmen), Beschränkung des Erwerberkreises (zur Förderung ortsansässiger Landwirte, Junglandwirte, arbeitsintensiver Betriebe, Ökolandbau etc.), finanzielle Beteiligungen von Mehrerlösen bei Weiterverkauf u. ä. beinhalten. Entscheidend für eine mittel- und langfristig positive Entwicklung ist allerdings, dass ein konkreter Zeitpunkt für die Aufhebung dieser Handelsbeschränkung für staatliche und kommunale Flächen in Aussicht gestellt wird. In den kommenden Monaten sollte der Dialog zwischen den Regionen und dem Parlament intensiv fortgeführt werden, um Möglichkeiten zur Aufhebung des Verkaufsverbotes auf den Weg zu bringen. Für diese anstehenden Entscheidungen, ist umso wichtiger, Transparenz in Bezug auf Kauf- und Pachtpreise für landwirtschaftliche Flächen zu erreichen und die sich entwickelnden Werte zu sammeln, zu bewerten und sachgerecht öffentlich bereitzustellen.

Mögliche Risiken für negative Entwicklungen:

1. Die im Vergleich zu früheren Versionen des Gesetzesentwurfes starken staatlichen Regulierungen (Erwerbsobergrenzen, Verkaufsverbot von Flächen in staatlichem oder kommunalen Eigentum, Ausschluss von Akteuren, die nicht über eine ukrainische Staatsbürgerschaft verfügen) können die Entwicklung eines funktionierenden und transparenten landwirtschaftlichen Bodenmarktes negativ beeinflussen und bergen das Potential, neue rechtliche Grauzonen, Korruption und intransparente Vergabepraktiken zu fördern. Dies könnte im Vergleich zu weniger stark regulierten Szenarien der Bodenmarktöffnung zu einem geringeren Wirtschaftswachstums und niedrigeren staatlichen Einnahmen führen. Zudem könnten internationale Geberorganisationen, wie der IWF oder die Weltbank, die sich für eine liberalere Bodenmarktöffnung aussprachen, daran geknüpfte finanzielle Förderungen zurückhalten.

2. Für den Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen sind umfangreiche langfristige Investitionen der Landkäufer erforderlich, die die kurzfristigen Ausgaben der Agrarunternehmen für Betriebsmittel zumindest zeitweilig beinträchtigen werden. Dieser Effekt wird beim Einsatz von Krediten durch die Zinsbelastungen noch verstärkt. Die Ankündigung der ukrainischen Regierung, zinsvergünstigte Kredite für den Erwerb landwirtschaftlicher Flächen auszugeben, könnte dem entgegenwirken.

3. Es ist bislang unklar, wie die (behördliche) Überprüfung der Erwerbsbeschränkungen organisiert und vollzogen werden soll und wie viel Verwaltungsaufwand diese nach sich ziehen wird. Die Umsetzung der angestrebten Schutzmechanismen, die einer zu großen Konzentration an landwirtschaftlichen Flächen auf wenige Eigentümer vorbeugen sollen, birgt die Gefahr, gegenteilige Effekte, als ursprünglich vorgesehen, zu erzielen. Staatliche Regulierungen über Erwerbsbeschränkungen und den Ausschluss interessierter Erwerbergruppen erhöht das Risiko, dass durch findige Geschäftsmodelle Umgehungstatbestände geschaffen werden. So wäre nach erster Einschätzung möglich, dass Unternehmen natürlichen Personen Geld für den Erwerb landwirtschaftlicher Flächen zur Verfügung stellen, die den Geldgebern anschließend ein 49-jähriges Nutzungsrecht einräumen. Zudem ist die staatliche Kontrolle von Share-Deals nur durch sehr hohen investigativen Verwaltungsaufwand möglich. Anhand von Beteiligungen an unterschiedlichen Unternehmen, die landwirtschaftliche Flächen erwerben, flächendeckend die individuellen Eigentumsobergrenzen der Anteilseigner zu kontrollieren, scheint schwer möglich und birgt die Gefahr, dass nur vereinzelte Verstöße nachverfolgt und geahndet werden können. Der Aufbau eines auch für die landwirtschaftlichen Flächen wirksamen transparenten Grundstücksverkehrs setzt die Schaffung und Umsetzung von klaren und für alle Handelnden gültigen Regelungen voraus. Um die Akzeptanz eines geordneten landwirtschaftlichen Grundstücksverkehrs zu gewährleisten, sollten Rechte künftig (erfolgreich) einklagbar sein, Verstöße konsequent geahndet und durch konsequente Umsetzung von Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit das generelle Vertrauen in die Justiz erhöht werden.

4. Ausländische Personen und ukrainische Unternehmen mit ausländischen Anteilseignern / Endbe-günstigten bleiben für eine nicht bestimmte Dauer vom Flächenerwerb ausgeschlossen. Mit der Parlamentsentscheidung wurde die Chance vertan, ein positives Signal an die EU zu senden und zumindest Bürger der Europäischen Union oder bereits jahrelang in der Ukraine tätige ausländische Land-wirte in Bezug auf Erwerbsmöglichkeiten den Ukrainern gleichzustellen. Bisher ist unklar, ob und wann ein gesamtukrainisches Referendum über eine Beteiligung von Personen mit anderer Staatsangehö-rigkeit als der Ukrainischen am landwirtschaftlichen Bodenmarkt stattfinden wird. Bisher durchgeführte Umfragen zeigen, dass eine große Mehrheit der Ukrainer gegen eine Erwerbsmöglichkeit durch Ausländer votieren würde. Dadurch werden Wettbewerbsnachteile für ukrainische landwirtschaftliche Un-ternehmen mit ausländischer Beteiligung entstehen. Dies könnte momentan erfolgreich tätige Unter-nehmen mit ausländischer Beteiligung vor existenzielle Probleme stellen und generell zu weniger aus-ländischen Investitionen in den ukrainischen Agrarsektor führen, als ohne die Erwerbsbeschränkung möglich wären. Zudem bleibt weiterhin vor allem das Eigentumsrecht derjenigen ukrainischen Grundeigentümer eingeschränkt, die ihre Flächen an Unternehmen mit ausländischer Beteiligung zwar verpachten aber nicht verkaufen dürfen. Durch ein Referendum entscheiden folglich mittelbar alle ukrainischen Wahlberechtigten über den Grad der Verwirklichung des Eigentumsrechts vergleichsweise weniger betroffener Ukrainer. Der Schutz der Eigentumsrechte Einzelner sollte als hoheitliche Aufgabe wahrgenommen, und nicht aus politischem Kalkül durch Volksentscheide entschieden werden.

5. Es ist nicht ersichtlich, dass die Ausgestaltung der Bodenmarktöffnung an langfristigen boden- und agrarpolitischen Strategien ausgerichtet wurde. Jeder Ukrainer hat gleichermaßen das Recht, unabhängig von seinem Wohnsitz, seiner Fähigkeiten und beruflichem Hintergrund, überall in der Ukraine landwirtschaftliche Flächen zu erwerben. Zwar besitzen Landwirte ein Vorkaufsrecht auf jene Flächen, die sie zum Verkaufszeitpunkt pachten, sofern sie bereit und fähig sind, den durch den Eigentümer ausgehandelten Preis zu zahlen. Dieses Vorkaufsrecht gilt allerdings nur für den jeweiligen Pächter selbst und nicht generell für weitere aufstockungsbedürftige Landwirte (derselben Region). Zudem ist bisher kein Zeitraum für ein Ende des Moratoriums auf den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen im Eigentum der öffentlichen Hand bekannt. Will die Ukraine durch den Verkauf staatlicher (kommunaler) landwirtschaftlicher Flächen neben öffentlichen Einnahmen auch agrarstrukturelle Ziele verfolgen, so sollte ein Zeitraum definiert und der Privatisierungsprozess anhand eines bodenpolitischen Leitbildes ausgerichtet werden.

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