NAAWAm 23.07.2020 hatte der APD zu einer Online-Konferenz zum Thema „Deutsche Erfahrungen bei der Gestaltung einer effizienten Agrarressortforschung – Handlungsoptionen für die Ukraine“ eingeladen, der Vertreter der Nationalen Akademie der Agrarwissenschaften der Ukraine (NAAW), der Agrarausbildung und der Agrarwirtschaft gefolgt waren.

Hintergrund der Veranstaltung waren entsprechende Anfragen aus dem Parlament und von der Regierung der Ukraine an den APD, obwohl leider keine Vertreter von dort an der Veranstaltung teilgenommen haben.

Volker Sasse, Leiter des APD, verwies in seiner Begrüßung auf das kulturhistorische Erbe der Agrarforschung in der Ukraine und betonte, dass die Agrarforschung insgesamt, auch die NAAW, in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit, aufgrund ihrer mangelnden Praxisorientierung und der nicht ausreichenden internationalen Ausrichtung der Forschung, kritisiert worden ist. „Reformen in diesem Bereich sind sehr komplex, erfordern langfristige Ansätze und immer auch die aktive Mitarbeit der beteiligten Forscher und Führungskräfte sowie deren Verständnis für schnelle, transparente Schritte in die richtige Richtung.“, sagte Sasse.

In seiner Begrüßung betonte der Präsident der Nationalen Akademie der Agrarwissenschaften der Ukraine, Jaroslav Gadzalo, die Notwendigkeit von Reformen der NAAW und begrüßte die Initiative des APD zur Begleitung eines transparenten Dialogs mit den relevanten Interessenvertretern und Entscheidungsträgern. „Die bisher bereits eingeleiteten und weiterhin geplanten Reformschritte der NAAW müssen allerdings transparenter in die Öffentlichkeit vermittelt werden, um das Vertrauen und die Akzeptanz der Gesellschaft gegenüber der Agrarforschung zu festigen. Öffentliche Akzeptanz und Vertrauen sind eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der Agrarwissenschaft und ihrer Unterstützung durch den Staat. Die Erfahrungen bei Umsetzung von entsprechenden Reformen der Agrarwissenschaft in Deutschland sind für uns wichtig.“, sagte Gadzalo.

Olga Khodakivska, stellvertretende Direktorin des Nationalen Wissenschaftszentrums „Institut für Agrarökonomie“ stellte Ergebnisse ihrer Analyse zur Struktur und den Aufgaben sowie zu den aktuellen Herausforderungen der NAAW vor. Sie verwies auf die Ergebnisse einer Evaluierung der Forschungs- und Innovationssystems in der Ukraine aus dem Jahre 2016, die von Experten einer unabhängigen EU-Kommission für Forschung und Innovation durchgeführt wurde und ein hohes theoretisches Niveau der Agrarwissenschaften in der Ukraine bestätigte. Sie betonte insbesondere die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Agrarforschung.

Im Rahmen einer SWOT-Analyse identifizierte Khodakivska verschiedene Schwachstellen, u.a. die niedrige Bezahlung der Wissenschaftler, die geringen Sprachkenntnisse (insbesondere Englisch), die unzureichende Öffentlichkeitsarbeit sowie die schlechten Finanzierungsbedingungen aus dem ukrainischen Staatshaushalt.

Zusammenfassend postulierte Khodakivska folgende Vorschläge für die Reform der NAAW:

  • Verbesserung des Management- und Verwaltungsstrukturen,
  • Verbesserung der Struktur und Organisation der Land- und Vermögensverwaltung,
  • Integration der ukrainischen Agrarwissenschaft in die internationale Forschungsgemeinschaft,
  • Erhöhung der Vergütung für wissenschaftliche Mitarbeiter, Verbesserung der Motivationssysteme und Schaffung von Bedingungen für den Erfahrungsaustausch mit ausländischen Kollegen,
  • Einrichtung von wissenschaftlichen Beiräten zur unabhängigen Bewertung wissenschaftlicher Ergebnisse, unter Einbeziehung ausländischer Wissenschaftler und Vertreter öffentlicher Organisationen,
  • Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit zu den Forschungsergebnissen.

In seinem Schlüsselreferat verwies Jaroslaw Gadzalo zunächst auf Arbeitsergebnisse der NAAW u.a. auf:

  • Entwicklung moderner umweltfreundlicher Technologien für verschiedene Boden- und Klimazonen unter Berücksichtigung des Klimawandels und der Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit,
  • Züchtung von Saatgut und Nutztierrassen,
  • Vorbeugungsmaßnahmen bei Nutztierkrankheiten und Verfahren zur Bekämpfung von Epidemien,
  • Wiederaufbau der nationalen Produktion von Bodenbearbeitungs-, Sämaschinen und Ausrüstungen.

Darüber hinaus hob Gadzalo die Bedeutung der experimentellen Produktionsstätte der NAAW zur Versorgung der Pflanzenproduktion und der Viehzucht in der Ukraine hervor. Aus der Sicht der NAAW läuft die nationale und internationale Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen und Universitäten auf hohem Niveau.

Weiterhin informierte Gadzalo die Teilnehmer der Veranstaltung über das "Programm zur Umsetzung der Reform der Agrarwissenschaften" vom 31.10.2018, dessen Ziel u.a. in der Modernisierung der Forschungseinrichtungen und in der Reduzierung der Beschäftigten besteht. Fünf interregionale Wissenschaftszentren der NAAW wurden zusammen mit Bildungseinrichtungen, öffentlichen Organisationen und Unternehmen der Agrarwirtschaft eingerichtet. Das Programm sieht weiterhin folgende Schwerpunkte vor:

  • Anerkennung des akademischen Status nach neuen Grundprinzipien, u.a. Ausweitung der gesellschaftlichen Kontrolleinrichtungen; Einrichtung von wissenschaftlichen Beiräten,
  • Optimierung der Struktur wissenschaftlicher Einrichtungen und Forschungsbetriebe, u.a. Schließung ineffizienter Forschungseinrichtungen, Privatisierung ineffizienter landwirtschaftlicher Betriebe, Intensivierung von gemeinsamen Forschungsprojekten in Zusammenarbeit mit der Agrarwirtschaft,
  • Neue Prinzipien des Managements des Forschungsprozesses, u.a. Dezentralisierung der Leitung der NAAW,
  • Verbesserung der Finanzierung wissenschaftlicher Einrichtungen, u.a. Senkung der Verwaltungsausgaben, Steigerung der Einwerbung von Drittmitteln,
  • Optimierung der Flächennutzung und Vermögensverwaltung,
  • Innovationen, u.a.  Gründung eines Zentrums der „Agrarwissenschaft der Ukraine“ und einer entsprechenden Webplattform,
  • Intensivierung der Integration der Agrarwissenschaft in die internationale Forschungsgemeinschaft.

Alfons Balmann, Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien sprach in seinem Vortrag über „Deutsche Erfahrungen bei der Gestaltung einer effizienten Agrarressortforschung – Handlungsoptionen für die Ukraine“. Er würdigte zunächst den langfristigen Ansatz des APD bei der Beratung zum Thema „Effiziente Agrarforschung“, der seit 2010 Beratungsleistungen zu diesem Themenbereich bereitstellt.

Mit Blick auf den Status Quo der NAAW verwies Balmann auf Auffälligkeiten beim Vergleich der NAAW mit deutschen außeruniversitären Agrarforschungseinrichtungen. Die betrifft den geringen Anteil jüngerer Wissenschaftler, die geringe internationale Sichtbarkeit mangels ausreichender international anerkannter Veröffentlichungen und Konferenzteilnahmen, Defizite in der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit was insbesondere auf mangelnde Kenntnisse der internationalen Literatur sowie moderner Theorie und Methoden hindeutet. Zudem verwies er in Verbindung mit dem enorm hohen Personalbesatz auf die prekäre Bezahlung, die nicht einmal mit der ukrainischen Landwirtschaft wettbewerbsfähig sei. Aus deutscher Sicht erscheint nicht zuletzt auch die enorme Flächenausstattung der NAAW weder nachvollziehbar noch begründet.  Hieraus ergäben sich, so Balmann, aus internationaler Sicht Fragen nach dem Selbstverständnis der NAAW. Weder sei eine Legitimierung über wissenschaftliche Exzellenz erkennbar, noch eine nationale wie internationale Wettbewerbsorientierung oder grundlegende mit Konsequenzen verbundene Evaluierungen. „Die NAAW droht sogar den Anschluss an die rapide Modernisierung der ukrainischen Landwirtschaft zu verlieren“, betonte Balmann.

Balmann begrüßte im Weiteren die Reformbestrebungen der NAAW, betonte aber gleichzeitig zusätzliche Reformansätze auf Ebene der Politik wie auch der NAAW:

  • Klare politische Perspektive: Was erwarten die ukrainische Gesellschaft und der Staat von der Agrarforschung und was sind sie bereit dafür auszugeben? Daran müssen sich Größe und Aufgabenspektrum orientieren.
  • Konzentration auf wissenschaftliche Schwerpunkte mit Entwicklungsperspektiven,
  • Einrichtung transparenter Evaluierungs- und Monitoringsystem, u.a. durch internationale wissenschaftliche Beiräte,
  • systematischere Qualitätssicherung, die neben zeitgemäßer Forschungsethik auch moderne Theorie- und Methodenkenntnisse voraussetzt,
  • Einführung eines modernen Wissenschaftsmanagements.

In der anschließenden Diskussion äußerten sich u.a. Gennadiy Novikov, der Vorsitzende des Verbandes der Agrarunion der Ukraine, und Mykola Stryzhak, der Präsident des Verbandes der Farmer und Landbesitzer der Ukraine. „Die Agrarforschung in der Ukraine hat eine lange Tradition und ist eine wichtige Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung des Agrarsektors der Ukraine insgesamt. Die Innovationen der NAAW werden von Landwirten häufig eingesetzt. Die wissenschaftlichen Ergebnisse, insbesondere das Saatgut sind an unsere Böden- und Klimabedingungen angepasst. Und das ist sehr wichtig. Wir brauchen die NAAW.“ – betonte Novikov. Zur Überwindung der Defizite bei der Praxiswirksamkeit der Forschungsergebnisse bot er die Intensivierung der Zusammenarbeit mit der ukrainischen Agrarwirtschaft, z.B. über Private-Public-Partnerschaftsprojekte an.

Volker Sasse bezog sich in seiner Zusammenfassung auf die Vorschläge zur Einrichtung eines inter-nationalen wissenschaftlichen Beirates der NAAW. „Dieser Beirat könnte die NAAW, ausgestattet mit einem entsprechenden Mandat, quartalsweise bei der weiteren Ausrichtung der Reformansätze und bei der Entwicklung eines langfristigen Forschungsprogramms sowie bei deren Umsetzung in Richtung der Erschließung von Effektivitätspotentialen der Agrarforschung der Ukraine beraten.“ Der APD ist bereit, die Arbeit eines solchen Beirates auf der Grundlage deutscher Erfahrungen zu unterstützen.

Quelle: APD, Foto: http://naas.gov.ua, Datum: 23.07.2020

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